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Ansichtssachen

Aus Flachs wird Har(garten)...

Der Flachs hat Hargarten seinen Namen gegeben. Bereits in der ersten urkundlichen Erwähnung wurde das Dorf Hargarda genannt, was soviel wie "Flachsgarten" hieß. Schon zu Zeiten der ersten Besiedlung spielte Flachs im Ort eine wichtige Rolle. Nach 70jähriger Pause hatte der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins, Herbert Dewes, im Jahr 2003 diese Tradition wieder aufgenommen. Im elterlichen Garten in der Hargarter Strasse baute er versuchsweise Flachs an. Die Samen hatte ein Bekannter aus Polen mitgebracht. Zur Blütezeit konnten auch Hargarter Schüler jene Pflanze kennen lernen, die das Ortswappen ziert.

Die alte Kulturpflanze Flachs (auch Lein genannt) mit ihrer blauen fünfblättrigen Blüte wurde nach der Samenreife von Hand „gerauft“ und in Garben etwa zwei Wochen getrocknet. Dann wurden die Flachsbündel zum Abstreifen der „Knobbe“ (Samenkapseln) und zum Säubern der Wurzeln durch den „Riffelkamm“ gezogen. Nach weiteren Arbeitsgängen, wie dem „Rösten“, „Brechen“, „Schwingen“, „Hecheln“ und „Spinnen“, wickelte man das nun fertige Leinengarn von der Spule des Spinnrades auf die Haspel, um von dort von der Weberin oder dem Weber wieder auf Spulen gewickelt zu werden, wobei Kettgarn und Schussgarn unterschiedliche Spulen benötigen. Diese Arbeitsvorgänge sind keine neuzeitlichen Abläufe. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit verlief die Fasergewinnung und Verarbeitung in fast ähnlicher Art und Weise. Die Herstellung von Textilgewerbe ist sicherlich neben der Erzeugung von Nahrungsmitteln eine der bedeutsamsten frühen Erfindungen der ersten sesshaften Menschen.

Beim Handwerkermarkt, der während der 750-Jahrfeier unseres Nachbarortes Rissenthal am 2./3. Juli 2005 stattfand, hat der Heimat- und Kulturverein Hargarten die Tradition der Flachsverarbeitung wieder aufleben lassen. Mitglieder demonstrierten den vielen interessierten Besuchern die Arbeiten an der Flachsbreche, dem Klopf- und dem Schwingstock und an der Grob- und Feinhechel. Sie konnten auch Langflachszöpfe am Spinnrocken und Kurzflachsfasern aus Werg zeigen, die zum Spinnen fertig bearbeitet waren. Auch fertig gesponnenes sehr altes Flachsgarn auf einer Haspel aufgewickelt und in Zöpfen (Puppen) -auf das spätere Weben wartend -, konnten bewundert werden.

Anläßich der Einweihung der "Flachsstube" als Veranstaltungsraum in der Weidentalhalle im September 2013 hielt der Vorsitzendes des Heimat- und Kulturvereins einen ausführlichen Vortrag über die Entstehung des Ortsnamens:

"Werte Festgäste!
Wie kommt der Hargarter Ortsrat in Verbindung zu den Vereinen und unter Beteiligung der Bevölkerung dazu, diesem Gemeinschaftsraum den Namen „ Flachsstube“ zu geben?
Bevor Sie hier eingetreten sind, haben Sie gewiss draußen die Flachspflanzen mit Samenkapseln wahrgenommen. Diese Flachspflanzen standen vorige Woche noch auf dem Wiesenblumenfeld des Nabu’s der Gemeinde Beckingen in Erbringen.
Wenn Sie diese Flachsfasern anschauen, fällt Ihnen die Ähnlichkeit mit unseren Haaren auf. Ja, mit Flachs und den Flachsfasern hat auch der Name Hargarten etwas zu tun.
„Har“ lässt sich ableiten vom althochdeutschen Wort „haro- harves“= Flachs und dem mittelhochdeutschen „garte, gart“*= Garten. Norbert John leitet in seinem Heimatbuch dies jedoch ab vom mittelhochdeutschen Wort „gader, gater“**= Zaun. Auch heute sind unsere Gärten in Unterscheidung zu einem Feld in der Regel eingezäunt und befinden sich in unmittelbarer Nähe zu einem Haus. (vgl. „Hargarten- Unsere Heimat gestern und heute“ S. 14) Beide Deutungen sind sinnvoll und stimmig.
Denn Hargarten ist als Siedlung- laut Hargarter Heimatbuch- voraussichtlich um 700-800 n.Chr. entstanden als ein dominierender Hof, auf dem ein mit besonderen Rechten ausgestatteter Franke wohnte, und umgeben von kleineren Höfen, deren freie Bewohner Dienste für den Herrenhof verrichten mussten. Die gesamte Siedlung war- in fränkischer Zeit so üblich- von einem Zaun umgeben. Flachsanbau und Flachsspinnen und Weiterverarbeiten war in dieser fränkischen Zeit schon gut entwickelt und hier in Hargarten wurde dies auch gewiss praktiziert. Deshalb nannte man damals dieses umzäunte Flachsanbaugebiet Hargarten, also Flachsgarten.
Meinem Gespür nach bedurfte es jedoch damals nicht etwa einem handwerklich hergestellten Zaun oder Gatter ( aus Weidengeflecht, Planken oder Pfählen), um dieses Gebiet einzuzäunen, sondern die natürliche Lage Hargartens - „ im Loch“ - ergab doch , dass es eingezäunt war; es war von zwei Seiten von Bergen umgeben und auf der dritten Seite - der Talöffnung - durch ein Hofgut geschützt.
Erwähnt sei auch noch, dass vor circa 400 Jahren zur Erinnerung an den Ursprung und die Deutung Hargartens die damaligen Einwohner ihre Kapelle der hl. Anna als Schutzpatronin anvertrauten. Die hl. Anna wird jedoch als Schutzpatronin der Flachsanbauer, Spinnerinnen, Weberinnen und Klöpplerinnen verehrt.
Anzumerken sei auch, dass die Erinnerung an vergangene Zeiten Hargartens durch das Heimatbuch (1993) der Brüder Norbert und Roman John, Theodor Wilbois und Herbert Wirbel aufrecht erhalten wird.
Auch der frühere Ortsrat Hargartens hat im Dezember 1988 an den Ursprung Hargartens erinnert, indem er im neugestalteten Ortswappen auch eine Flachsblüte einfügte.
Es freut den Heimat- und Kulturverein und mich besonders, dass wir auch heute die Erinnerung an die Hargarter Geschichte aufrecht erhalten, indem wir diesem Gemeinschaftsraum in Hargarten den Namen „Flachsstube“ geben."

Helmut Lubitz

Quellen:
* Köbler Gerhard, Mittelhochdeutsches Wörterbuch,2.Aufl. 2013; www.mediävum.de
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"Hargarten, unsere Heimat gestern und heute", Heimatbuch der Interessengemeinschaft Hargarter Bürger, MDV 1993

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